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17.11.2019

Design erschöpft sich nicht im Radius

Design erschöpft sich nicht im Radius Hartmut Schürg und Daniela Böhrer | Foto: Armin Scharf

Design muss weiterdenken und hinterfragen – sagen Preisträgerin Daniela Böhrer und Hartmut Schürg von Recaro im Interview.

Profi trifft auf Newcomerin: Hartmut Schürg von Recaro, Förderer der Mia Seeger Stiftung, findet, dass Designer nicht über Radien sprechen sollten, sondern Vorhandenes hinterfragen und neue Sichtweisen wagen müssen. So wie Daniela Böhrer, die Gewinnerin des Mia Seeger Preises 2018. Ihre Bachelorarbeit könnte dereinst dem Brustkrebs seinen Schrecken nehmen. Ein Doppelinterview.

Frau Böhrer, 2018 erhielten Sie für Ihre Bachelorthesis „Sensa“ den Mia Seger Preis. Wie war das für Sie?

Daniela Böhrer:Das war schon eine krasse Erfahrung, im positiven Sinn. Vor ein paar hundert Leuten auf der Bühne zu stehen und dabei locker zu bleiben, war absolut neu für mich.

Wann kamen Sie auf die Idee, Ihre Arbeit einzureichen?

Daniela Böhrer:Eigentlich recht kurzfristig. Die Arbeit war fast schon fertig, als ich erstmals mit dem Gedanken spielte. Mein Professor meinte, ich solle mir den Mia Seeger Preis mal anschauen, mein Thema würde dafür gut passen. Aber es musste schnell gehen. Im Februar hatte ich meine Abschlusspräsentation und im April war schon Abgabeschluss. Wenig Zeit also, doch mir kam zugute, dass Aspekte wie Bildauswahl, Texten und Präsentation bereits Teil der Bachelorarbeit waren. Darauf konnte ich gut zurückgreifen.

Also war der Anschub seitens der Hochschule wichtig?

Daniela Böhrer: Ich fand es prima, dass Gerhard Kampe, mein betreuender Professor, mich unterstützt hat – übrigens in allen Phasen der Arbeit, die recht komplex war. Es kommt zwar letztlich auf einen selbst an, was man aus seiner Arbeit macht, aber ein Impuls von außen ist schon auch wichtig. Im Prinzip hat man ja nichts zu verlieren, sondern kann nur gewinnen, mindestens Erfahrungen. Und man lernt dabei, sich mit seiner Arbeit zu zeigen. Das ist im Beruf dann nicht anders.


„Von einer Jury ausgezeichnet zu werden, ist nochmals eine andere Nummer. Das motiviert ungemein“ Daniela Böhrer


Ich denke, so eine Auszeichnung ist auch eine Art Bestätigung.

Daniela Böhrer:Genau. Man bekommt zwar permanent Feedback von den Professoren, von den Mitstudierenden und aus dem Freundeskreis, aber von einer Jury ausgezeichnet zu werden, ist nochmals eine andere Nummer. Das motiviert ungemein.

Wie sehen Sie das, Herr Schürg?

Hartmut Schürg:Es erfordert schon Mut, sich zu zeigen und für etwas zu stehen. Ich beglückwünsche Sie, dass Sie das so gemacht haben. Es geht ja auch darum, zu debattieren, zu argumentieren und Visionen auszudrücken. Diese Fähigkeit ist ganz wichtig. Nur so entwickeln wir uns weiter.

Daniela Böhrer:Ein Mediziner, bei dem ich recherchierte, meinte, ich solle nicht so weit in die Zukunft denken, sondern aktuellere Probleme mit zeitnaher Umsetzungsmöglichkeit angehen. In der Tat würde Sensa mindestens zehn Jahre bis zur Ausentwicklung und Marktzulassung benötigen. Aber als Studentin habe ich die Chance, Dinge losgelöst von wirtschaftlicher Verwertbarkeit anzugehen.

Hartmut Schürg:Dieses Weiterdenken sollten Sie sich unbedingt bewahren. 


„Es braucht Designer und Designerinnen, die kritisch denken können, die ihre Meinung vertreten, überzeugend, argumentativ, begeisternd“ Hartmut Schürg


Aber ist das realistisch in einem Unternehmen?

Hartmut Schürg:Die Rolle des Designs gewinnt an Bedeutung. Noch immer suchen Unternehmen nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit technisch optimaler Expertise, die in den Teams spezifische Rollen übernehmen. Aber dadurch gibt es wenige Leute, die gelernt haben, gesamtheitlich zu denken und die Kundenperspektive einzunehmen. Genau hier kommt das Design zum Zug, vor allem in seiner kritischen, hinterfragenden und treibenden Funktion. Um dies zu tun, bedarf es einer besonderen inneren Haltung und Motivation, einem Bewusstsein, das über das Produkt hinausweist. Es geht dabei weniger um einen bestimmten Radius, sondern um bessere Ideen und auch deren Umsetzung.

Sie arbeiten heute für das Designstudio UP in Stuttgart. Einer der Chefs, Stefan Lippert, ist in der Preisjury aktiv.

Daniela Böhrer:Ich habe neugierig recherchiert, was die einzelnen Juroren und Jurorinnen so machen, bei UP war damals eine Trainee-Stelle frei, also habe ich mich dort mit Erfolg beworben.

Kann eine solche Auszeichung ein Job-Bonus sein?

Hartmut Schürg:Selbstverständlich. Allein die Tatsache, dass der Bewerber oder die Bewerberin am Mia Seeger Preis teilgenommen hat, ist positiv. Weil das von besonderer Tatkraft und Mut zeugt. Dazu trägt auch die hohe Glaubwürdigkeit des Preises bei.


„Der Mia Seeger Preis ist ein Juwel zwischen all den Designawards“ Hartmut Schürg


Recaro engagiert sich in der Mia Seeger Stiftung – auch wegen des sozialen Ansatzes der Stiftung und des Preises?

Hartmut Schürg:Das, wofür die Mia Seeger Stiftung steht, also die soziale Betonung des Designs, bildet für mich schon immer die Grundlage des Designs. Bei Recaro leben wir diesen Ansatz permanent und arbeiten immer mit dem Blick auf den Menschen, den Nutzer. Unsere Produkte, beispielsweise Sitze für Flugzeuge, sind ganz nah am Menschen. Unser Fokus richtet sich auf zwei Themen, auf die Mobilität der Zukunft und ergonomische Aspekte. Beides sind extrem spannende Felder. Ich würde mich freuen, wenn sich Studierende gerade mit der Ergonomie beschäftigen würden, also mit der Frage, was man für Menschen tun kann, die sitzen müssen, etwa im Flugzeug oder im Auto. Übrigens ist das durchaus relevant für die Gesellschaft, denken Sie nur an die gesundheitlichen Probleme, die langes und falsches Sitzen hervorruft.

Wie wichtig war der soziale Aspekt bei der Auswahl des Bachelorthemas?

Daniela Böhrer:Sehr wichtig. Ich wollte an einer echten Problemstellung arbeiten, nicht nur an ästhetischen Aspekten. Meine Grundidee war nicht, die bewährten Methoden zur Brustkrebserkennung in Frage zu stellen, sondern diese zu ergänzen. Wird Brustkrebs frühzeitig erkannt, sind die Heilungschancen sehr gut. Daher ist das regelmäßige Abtasten immens wichtig, aber zugleich stellt sich die Frage, ob man Veränderungen tatsächlich auch fühlt. Sensa soll dabei helfen, bereits kleine Gewebemutationen zu entdecken. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, umso relevanter wurde es für mich. Kurz nach dem Abschluss der Arbeit gab es in meinem Freundeskreis tatsächlich eine Neuerkrankung. Auch das hat mir nochmals die Wichtigkeit vor Augen geführt.


„Ich bin sehr tief in die Recherche eingestiegen, irgendwann musste ich aber einen Strich ziehen, um zu einem Ergebnis zu kommen“ Daniela Böhrer


Ist der Design-Nachwuchs ausreichend vorbereitet für die beruflichen Anforderungen?

Hartmut Schürg:Der Nachwuchs, der frisch aus den Hochschulen kommt, ist aus unserer Sicht fachlich sehr gut aufgestellt. Aber, wie bereits erwähnt, bedarf es bei der Entwicklung erfolgreicher Produkte, die Sinn machen, weiterer Kompetenzen. Es braucht Designer und Designerinnen, die kritisch denken können, die ihre Meinung vertreten, überzeugend, argumentativ, begeisternd. Nur so können Sie auch in großen Unternehmen einen Impact erreichen. Ich glaube, dass Hochschulen diese Skills mehr als bisher fördern sollten.

Recaro engagiert sich im Beirat der Mia Seeger Stiftung und auch finanziell. Sollten weitere Unternehmen diesem Beispiel folgen?

Hartmut Schürg:Ich finde ja. Es geht uns dabei keinesfalls um Eigenwerbung, wir sprechen nicht groß über die Unterstützung. Wir haben uns ganz bewusst für die Förderung junger Designer und Designerinnen entschieden, weil sie für uns als designorientiertes Unternehmen essenziell sind. Nebenbei trifft man in der Stiftung auch andere Unternehmen, mit deren Vertretern man sich dort ganz unbefangen austauschen kann. Auch das ist ein hoher Wert. Je mehr Förderer, umso interessanter wird der Kreis.

Sollte Mia Seeger Preis internationaler werden?

Hartmut Schürg:Mia Seeger war zu Ihrer Zeit eine prägende Förderin des deutschen Designs. Heute sollten wir über diese Grenzen hinausdenken, weil das Design längst international ist. So produzieren wir für einen internationalen Markt mit seinen vielfältigen Anforderungen, viele Kollegen und Kolleginnen stammen aus anderen Kulturkreisen. Das ist ungemein bereichernd – persönlich wie fachlich. Eine internationalere Ausrichtung würden wir sehr begrüßen.


„Ich würde mich freuen, wenn sich Studierende gerade mit der Ergonomie beschäftigen würden“ Hartmut Schürg


 

Die Personen

Daniela Böhrer (26), hat an der Hochschule Coburg Integriertes Produktdesign studiert. Mit ihrer Bachelorarbeit „Sensa“ gewann sie 2018 den Mia Seeger Preis. Die Idee war, Frauen ein sensorisches Hilfsmittel verfügbar zu machen, das die Selbstuntersuchung der Brust nach Gewebeveränderungen erleichtert.

Kontakt > Mail

Hartmut Schürg (54), studierte Industriedesign an der Hochschule in Pforzheim. Seit 1996 war er als Vice President Platforms für Design und Entwicklung bei der Sparte Recaro Aircraft Seating in Schwäbisch Hall tätig, seit Oktober 2012 ist er als Geschäftsführer in der Recaro Holding für die neu geschaffenen Ressorts Marke und Design verantwortlich. 

Kontakt > www.recaro.de/feel-performance.html